„Die Dunkelziffer von RLS-Patienten dürfte hoch sein.“

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Ein Viertel aller Personen, die wegen Schlafstörungen ins Schlaflabor Fluntern kommen und eine Auswertung machen, leiden unter RLS.

Viele Personen, die unter dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) leiden, wissen lange nicht, was mit ihnen los ist. Christian Neumann vom Zentrum für Schlafmedizin Schlaflabor Fluntern in Zürich sagt im Interview, wie es zur Diagnose kommt.

Zu Ihnen kommen Menschen wegen Schlafstörungen. Welchen Anteil Ihrer Patienten leidet unter dem Restless-Legs-Syndrom?
Christian Neumann: Von den knapp 500 Personen, die hier im Labor schlafen, weisen mindestens die Hälfte periodische Beinbewegungen auf. Wiederum etwa die Hälfte davon haben Restless-Legs-Beschwerden, das sind also 20 bis 25 Prozent oder 100 bis 125 Personen. Nicht alle davon sind behandlungsbedürftig.

Wie viele Personen brauchen keine Behandlung?
Mindestens ein Drittel dieser 100 bis 125 Patienten kommen ohne aus. Sie sind aber froh, wenn sie wissen, was mit ihnen los ist. Es gibt eine Erklärung für ihre Beinunruhe, und sie können sie einordnen und wissen, dass sie nicht schwer krank sind.

Wer zu Ihnen kommt, ist sich schon bewusst, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Wieviele Patienten kommen wegen RLS?
Nur fünf bis zehn Prozent kommen deswegen und wollen eine Behandlung. Ein Drittel bis ein Fünftel der Patienten sagen, sie schlafen schlecht. Bei ihnen ist RLS eine mögliche Erklärung.

Wie finden Sie denn heraus, dass es RLS ist?
Wenn ein Patient zum Beispiel über übermässige Tagesmüdigkeit klagt, bleibt er für eine Auswertung bei uns. Dabei werden unter anderem die Bewegungen während des Schlafes aufgezeichnet, auch Beinzuckungen. Treten solche auf, fragen wir den Patienten, ob er diese spürt. Bejaht der Patient und ergänzt beispielsweise, er spüre diese bereits vor dem Einschlafen, diagnostizieren wir Restless Legs. Erzählt der Patient hingegen von Unruhe im Körper oder im Kopf, wird es schwierig. Es gibt natürlich auch Mischungen von Ursachen wie Restless Legs und Depressionen oder Angst. Es stellt sich die Frage, welches Problem am stärksten zur Schlafunruhe beiträgt. Wir beginnen dann eben an einer Ecke mit der Behandlung.


Die aktuell gütigen Diagnosekriterien von Restless Legs hängen von der positiven Antwort auf folgende vier Fragen ab:

  1. Kennen Sie ein seltsames Gefühl, vorwiegend in den Beinen?
  2. Wenn ja: Tritt es eher abends bzw. nachts auf?
  3. Wenn ja: Haben Sie das Bedürfnis, sich zu bewegen, wenn das Gefühl auftritt?
  4. Wenn ja: Wird das Gefühl bei Bewegung besser?

Unter dem Syndrom leidet der Patient, wenn er ein Problem damit hat. Um eine Erkrankung handelt es sich, wenn der Patient nach einer entsprechenden Nacht müde ist.



Das klingt nicht nach einem besonders wissenschaftlichen Vorgehen.
Tatsächlich können wir oft nicht genau sagen, was der Auslöser für Schlafstörungen war, und entsprechend hoch dürfte die Dunkelziffer bei RLS sein. Mein Ansatz bei Diagnosen ist folgender: Auch wenn es letztlich hilft, dass man ein Leiden benennen kann, so bleibt doch die Hauptsache, dass wir Mittel und Wege finden, das Befinden des Patienten zu verbessern. Ich weiss, dass das wissenschaftlich gesehen nicht optimal ist. Es ist aber auch so, dass Krankenkassen und Unis uns zu einer Diagnose zwingen. Deswegen gibt es oft Fehldiagnosen oder anzweifelbare Diagnosen.

Worüber klagen die Patienten bei Ihnen in erster Linie?
Die meisten kommen wegen Tagesmüdigkeit.

Wieso sind Einschlafschwierigkeiten oder dergleichen weniger ein Thema?
Typischerweise haben sich Menschen mit RLS darauf eingestellt, dass es ihnen abends schlecht geht und dass Bewegung dagegen hilft. Wer es sich leisten kann, geht entsprechend spät zu Bett. Es gibt auch Menschen mit RLS, die tagsüber derart hyperaktiv sind, dass sie abends vor Erschöpfung in den Schlaf kippen. Wir hatten auch Fälle, bei denen durch die Behandlung einer Schlafapnoe entdeckt wurde, dass sie zusätzlich RLS haben. Sie kamen zu uns, weil sie tagsüber schläfrig waren und ausserdem schnarchten. Sind diese beiden Symptome behandelt, bekommen die Patienten nachher Schlafprobleme. Das ist statistisch sogar recht häufig.

Wie aber können Sie mit letzter Sicherheit feststellen, dass es sich beim Leiden der Patienten um das Restless-Legs-Syndrom handelt?
Es gibt leider keinen endgültigen Nachweis. Die aktuell gütigen Diagnosekrikterien von Restless Legs hängen von der positiven Antwort auf folgende vier Fragen ab:

  1. Kennen Sie ein seltsames Gefühl, vorwiegend in den Beinen?
  2. Wenn ja: Tritt es eher abends bzw. nachts auf?
  3. Wenn ja: Haben Sie das Bedürfnis, sich zu bewegen, wenn das Gefühl auftritt?
  4. Wenn ja: Wird das Gefühl bei Bewegung besser?

Unterstützende Krieterien sind:

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Christian Neumann ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, FA Schlafmedizin.

In einem zweiten Interview erklärt Christian Neumann dann, wie man mit RLS umgehen kann.

 

4 Kommentare

  1. Yorik Köhler
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    Genau so wurde schon vor 10 Jahren bei mir RLS im Schlaflabor diagnostiziert.
    Sie sind also nicht weiter gekommen.
    Ich halte den angesprochenen Diagnosedruck für ein Problem das zu falschen Diagnosen führen kann.
    Das Bild ist treffend wenn ich es richtig interpretier.
    Die Dunkelziffer könnte noch höher sein weil viele gar nicht zum Arzt gehen, erst nach Jahren.
    Leider kann man nicht raus finden wie viele RLS-Fälle nachwachsen in einem bestimmten Zeitraum.
    Tipp von mir: Wer ein leichtes RLS diagnostiziert bekommt aber den Alltag noch gut bewältigen kann, Finger weg von den Pillen so lange wie es ohne geht und auch nicht Testweise ein paar Tage Dopamin nehmen. Der Kontrast beim Absetzen verschlimmert die Beschwerden weil man sich daran gewöhnt ein wenig weniger zu leiden. Dann ist man in der Schleife drin und es geht nicht mehr ohne.
    Dann besser die Pillen nur vor Situationen nehmen wenn man man richtig Fitt sein muss.
    Nimmt man diese ständig um die Leistungsfähikeit auf Max zu halten und dosiert hoch kann man schnell eine Augmentation bekommen und dann ist man nicht mehr ein bisschen krank, dann geht es mit dem RLS erst so richtig los. In der Anfangsphase wenn es eigentlich gut erträglich ist kann man zeitlich gesehen noch am meisten Lebensqualität schinden, schreitet die Krankheit fort dann je später desto besser.
    Wer ein starkes RLS bekommt muss seine Tätigkeiten an seine Leistungsfähigkeit anpassen und kann nicht mehr seine Leistung den Wünschen des Lebens/Berufes/ Privates anpassen. Bei diesem Umstellungsprozess hilft einem keiner. Da sehe ich eine weitere Baustelle in der Gesellschaft.
    Grade in unserer Ellebogen-Leistungsgesellschaft ist ein RLS ein brutale Strafe.
    Ein großer Fehler ist es sich ganz auszuklinken, das ist dann der Nährboden für eine Depression. Also immer noch so viel „arbeiten“ oder leisten wie es geht, aber nicht im Halbschlaf nach der Schicht Auto fahren oder eben die Dopamine nehmen um weiter 100% bringen zu können. Das ist nur von kurzer Dauer und damit tut man sich nichts Gutes.

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    • Gerhard Girschweiler
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      Das sehe ich auch so Yorik. Die Versuchung ist halt gross, mit Medikamenten „ein bisschen“ weniger RLS zu haben. Aber eben, das ist meist von kurzer Dauer. Das habe ich auch so erlebt. Deshalb habe auch ich meine Medikation radikal runtergefahren und fahre insgesamt besser, als vorher mit den ganzen Pillen.

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      • Yorik Köhler
        Permalink

        Man muss es wissen, also mal gelesen haben, so etwas können nur Betroffene schreiben die eben in diese Falle getappt sind und die daher erkannt haben.
        Jeder hat eine andere Leidensfähigkeit, ich würde den Moment mit den Pillen anzufangen am, mangelnden Tiefschlaf fest machen. Wenn man nur noch müde ist, den ganzen Tag, dann kommt man nicht mehr drum rum. Jeder hat ein unterschiedliches RLS, ich habe Nachts gezuckt aber nicht dabei gelitten, erst nach der Diagnose und den ersten Pille hatte das RLS mein Bewusstsein erobert und dann erst hab ich es beim einschlafen so richtig gespürt. Es muss jeder für sich entscheiden.
        Es gibt noch was Fatales: Die Verwechslung von bleierner Müdigkeit die allen Antrieb nimmt und Depression. Ich will nicht wissen wie viele RLS Betroffene deswegen Antidepressiva bekommen, aber in Wirklichkeit einfach nur fix und fertig sind weil es keinen Tiefschlaf mehr gibt.
        Diese Krankheit ist für die Medikamentenindustrie eine Goldgrube.
        Wer ein RLS bekommt muss anfangen die komplette Verantwortung für sich selbst in die Hand zu nehmen, es kann kein Arzt abschätzen wann man wie viele Pillen in welcher Dosierung braucht. Das kann man nur selbst. Auch wenn man der Verführung viel weniger zu leiden anheim fällt, eventuell nützt es ja doch ein wenig wenn man weiss dass die Dopamine nicht ewig wirken. Anfangs können einige sich noch zurückhalten, später nicht mehr.

        Es gibt einen Gewöhnungseffekt der einen weniger Leiden lässt. Der ist aber sofort weg wenn man nur wenige Tage die Medikamente genommen hat. Dann wieder in den alten, besseren Zustand zu kommen ist enorm schwer.

        Das RLS ist oft nicht gleich stark. Es gibt Phasen wo es schlimmer ist aber wieder weniger schlimm wird nach der Phase.
        Vor einer eventuellen Dosierhöhung sollte man dringend für sich selber klären ob die Verschlimmerung eine Phase ist oder jetzt für immer da ist. Da kann es besser sein dass man statt hoch zu dosieren lieber wenige Tage runter dosiert und dann schaut ob die normale Dosis wieder greift.
        Es gibt so vieles auf was man achten kann wenn man es weis.

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