Website-Icon RLS – Die vergessene Krankheit

„Meine Mitschüler beneiden mich, wenn ich schwänzen muss“

Valeria* ist 18 Jahre alt und geht noch zur Schule. Wenn immer sie kann. Manchmal geht es nicht, weil sie unter einer starken Form von Restless Legs Syndrom leidet, die auch auf die Arme übergegriffen hat. Medikamente machen sie vergesslich, und manchmal kann sie kaum den Stift halten.

Bearbeitung: Anja Eigenmann

„Die junge Frau im Video bin ich. Meine Beine. Ich befinde mich da gerade im Krankenhaus wegen Schmerzen aufgrund des Restless Legs Syndroms. Meine Mutter hat mein Leiden mal mit der Handykamera dokumentiert. Wenn ich mich so sehe, fühle ich mich ein bisschen hilflos und traurig.

Man erklärte meiner Mutti, das seien Wachstumsschmerzen.

Mein Name ist Valeria*. Ich bin 18 Jahre alt und gehe noch zur Schule. Vielleicht kann der eine oder andere sich nicht vorstellen, dass für so einen „schicken“, jungen Mensch wie mich das Leben manchmal schlicht die Hölle ist. Ist aber so. Manchmal mag ich nicht mehr und weine nur noch. Ich kenne kein Leben ohne RLS und ohne Schmerzen. Ich hatte das offenbar schon als Kleinkind. Meine Mutti sagt, ich hätte nachts oft unruhig geschlafen, sei immer wieder wach geworden und hätte geweint. Damals aber erklärte man meiner Mutti offenbar, das seien Wachstumsschmerzen.

Schmerzen und Beinunruhe immer häufiger

Mit der Pubertät wurden meine Schmerzen häufiger, traten aber vorläufig nur nachts auf. Meine Mutti begleitete mich 2013 in ein Schlaflabor. Dort wurde RLS diagnostiziert. Ich bekam die ersten typischen Medikamente, Levodopa. Die halfen anfangs auch gegen die Beinunruhe. Aber dann wurden die Symptome schlimmer: Schmerzen und Beinunruhe auch tagsüber. Immer häufiger.

Seit 2 Jahren kein schmerzfreier Tag

Auch meine Grossmutter hat RLS. Sie bekam es mit 30 Jahren und trat deswegen mit 50 in den vorzeitigen Ruhestand. Sie hat es geschafft, sich mit dem Schmerz zu arrangieren.

Bei mir dagegen gibt es seit zwei Jahren keinen schmerzfreien Tag mehr in meinem Leben. Die Ärzte gaben mir ein Medikament nach dem anderen, erhöhten stets die Dosis. Aber die Wirkung ist heute nur sehr bescheiden. Es trat immer schnell eine Gewöhnung auf ein neues Medikament ein. Ausserdem hat das Restless Legs Syndrom auch auf meine Arme übergegriffen.

Ich musste in der Schule des Öftern in den Papierkorb erbrechen.

Weshalb das alles so ist, kann mir keiner sagen. Derzeit bin ich auf 64 mg Hydromorphon, 150 mg Amitriptylin sowie 600 mg Lyrica. Die Nebenwirkungen dieser Medikamente sind ziemlich heftig. Die Opiate machen mich hundemüde oder benommen, und Lyrica erzeugen bei mir Sprachschwierigkeiten, manchmal lalle ich nur noch. Ich musste mich in der Schule auch schon des Öftern in den Papierkorb erbrechen.

Ab 3 Uhr kein Schlaf mehr

Ist es ein Fluch oder ein Segen, dass man mir meine Krankheit nicht ansieht? Dass ich frisch, gesund und jung wirke? Ich meine, wer sieht denn schon gerne mitgenommen und krank aus. Auf der anderen Seite glaubt einem so niemand recht, dass man leidet; dass man manchmal Schluss machen möchte. Und dass man wegen starker Schmerzen die Schule nicht besuchen kann. Was soll ich denn tun? Ich nehme am Unterricht teil, trotz starker Medikamente und obwohl es schwer ist für mich und ich kaum eine Nacht durchschlafe. Es kommt vor, dass ich zwar gut einschlafe, dafür aber morgens gegen 3 Uhr vor Schmerzen aufwache und dann nicht mehr weiterschlafen kann.

Ich will doch niemanden wecken, meine Familie schläft ja tief und fest.

Schlimmer ist es aber, wenn ich vor lauter Schmerzen und Beinunruhe schon gar nicht einschlafen kann. Dann versuche ich alles Mögliche, um mich abzulenken: Ich beginne, meinen Kleiderschrank aufzuräumen oder hole mir die Hunde ins Zimmer, damit ich nicht alleine bin. Ich will doch niemanden wecken, meine Familie schläft ja tief und fest. Nach solchen Nächten dann um halb sieben aufstehen, zur Schule gehen und mich konzentrieren ist schon ziemlich hart.

Ich will doch nur ein normales Leben führen, wie andere Jungs und Mädels.

Wenn RLS in den Armen losgeht, kann ich manchmal kaum den Stift halten. Meine Schrift sieht entsprechend schlimm aus. Wegen der Medikamente bin ich auch sehr vergesslich. Und manchmal geht gar nichts. Weil ich dann schwänzen „darf“, werde ich von Mitschülerinnen und Mitschülern beneidet. Die haben ja keine Ahnung, die unterschätzen meine Krankheit. Dabei würde ich noch so gerne mit ihnen tauschen! Ich will doch nur ein ganz normales Leben, so, wie es andere Jungs und Mädels in meinem Alter führen! Eines ohne tägliche Schmerzen, die manchmal ins Unerträgliche wachsen.

Schmerzen wie eine Messerattacke

Der Schmerz zeigt sich unterschiedlich. Manchmal fährt er wie eine Messerattacke ins Bein, sodass ein oder gleich beide Beine zucken. Manchmal kündigt er sich langsam an, wird stärker, überrollt mich wie eine Welle vom Kopf bis zu den Füssen. Oder er fühlt sich an wie Stromstösse, die durch den Körper bis zu den Zehenspitzen jagen.

Lebenspläne? Erstmal die Schule schaffen.

Es gibt Tage, da bin ich fix und alle. Kraft geben mir glücklicherweise meine Familie, mein Freund und mein Pony.
Lebenspläne? Habe ich noch keine. Einfach erstmal die Schule schaffen.
Wünsche? Klar. Dass man endlich ein wirksames Medikament gegen RLS findet!“

*Name geändert

 

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